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In Erinnerung an Flucht und Vertreibung aus Alsdorf: Kiddusch-Becher von Ernst Keller wird in Alsdorf öffentlich in der Stadtbücherei ausgestellt


RWTH-Historiker Dr. Christian Bremen überreicht den Kiddusch-Becher von Ernst Keller an Bürgermeister Alfred Sonders.

Es war einer dieser Momente, die in Erinnerung bleiben. Emotional. Persönlich. Ergreifend. Evie Keller-Shvetz brachte den silbernen Kiddusch-Becher ihres Vaters zurück nach Alsdorf. Das war im Januar dieses Jahres, als Nachfahren ehemaliger Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Hoengen die einstige Heimat ihrer Familien besuchten. Erich Keller, der Vater von Evie Keller-Shvetz, kehrte nie in seine Heimat zurück. „Zu schlecht hatten ihn die Hoengener behandelt, um auch nur einen Gedanken an eine Rückkehr in die alte Heimat zu verschwenden“, erklärt Dr. Christian Bremen, Historiker an der RWTH Aachen, Lehr- und Forschungsgebiet Geschichte der Frühen Neuzeit, aus Anlass der Übergabe und Schenkung an die Stadt Alsdorf. Ihm, der die Geschichte von Flucht und Vertreibung der Hoengener Jüdinnen und Juden wissenschaftlich erforscht und aufgearbeitet hat, überreichte Evie Keller-Shvetz zu Jahresbeginn den Kiddusch-Becher, der nach Einschätzung von Dr. Bremen mehr als 100 Jahre alt ist und „wahrscheinlich von Generation zu Generation in der Familie Keller weitergegeben wurde“, so Dr. Bremen. Eine großzügige Geste. Versöhnlich und in Anerkennung der Bemühungen, an die furchtbare Geschichte der Hoengener Jüdinnen und Juden zu erinnern. Erst in den Vereinigten Staaten konnte Ernst Keller dem Becher wieder einen behüteten Ehrenplatz in seiner Wohnung geben und ihn an die nächste Generation weitergeben, erklärt Dr. Bremen. „Nach seinem Tod bewahrt seine Tochter Evie Shvetz die Erinnerungen an ihren Vater auf. Den Kiddusch-Becher gibt sie nicht an ihre Söhne und Enkel weiter, sondern bringt ihn im Januar 2025 nach Alsdorf. Auf diese Weise drückt Evie Shvetz ihre Wertschätzung dafür aus, dass die Erinnerung an ihren Vater hier lebendig ist“, betont Bremen. Und: „Deshalb kann der Kiddusch-Becher nicht einer einzigen Person gehören. Er gehört beispielsweise dem Herrn Bürgermeister Sonders, der im Januar die Stadt den Nachfahren mit viel Herzblut nahe gebracht hat und dem Brückenbauer unter den Menschen Heinrich Plum, der die Erinnerungskultur in Alsdorf von Anfang an begleitet und mitprägt; für den die Shoah Teil seiner Identität ist, und der Familie Grunewald, die jetzigen Besitzer des Hauses der Familie Keller, die die Nachfahren in ihr Haus einladen und mit ihnen das Brot teilen. Noch viele andere Alsdorfer gehören in diese Aufzählung.“ Jetzt wird der Kiddusch-Becher von Ernst Keller in der Stadtbücherei Alsdorf öffentlich gezeigt.
Einen wesentlichen Beitrag leistete auch der Verein „We, the six Million.“, vertreten durch Janine Gielis. Der Verein zeigt Lebenswege von Opfern der Shoah aus dem westlichen Rheinland auf. Aus Alsdorf haben sich verschiedene Gruppen und Bürgerinnen und Bürger engagiert: die Volkshochschule Nordkreis, der Alsdorfer Geschichtsverein, der Verein „Wider das Vergessen – die Erinnerungen zurück in die Stadt tragen“ sowie Forschende der Rheinisch-Westfälischen Hochschule Aachen.
Christian Bremen weist auch darauf hin, dass die Vorfahren von Ernst Keller seit Generationen in Alsdorf lebten: „Sie waren Wardener und Hoengener, ehrbare Bürger, Nachbarn, Bekannte, Freunde und geschätzte Kaufleute. Die jüdischen Menschen gehörten zur Dorfgemeinschaft wie die Katholiken und Protestanten. Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zerstörte die Solidarität unter den Dorfbewohner und machte die jüdischen Menschen zu verfolgten Außenseitern.“ Der Historiker schildert auch die Umstände der Flucht: „Ernst musste Hoengen „Hals über Kopf“ verlassen, als er seine Schwester vor antisemitischen Übergriffen schützte. Er machte Station bei seinen Eltern in der Schillerstraße; unter den wenigen Sachen, die er bei seiner Flucht nach Kerkrade mitnahm, befanden sich seine Kippa, sein Gebetsschal und der Kiddusch-Becher, also diejenigen Gegenstände die seiner Identität, seinem Jüdischsein Ausdruck verliehen.“ 
Der Kiddusch-Becher ist ein Ritualobjekt. Kiddusch heißt der Segen über den Wein, der am Feiertag gesprochen wird. Der Weinsegen gehört zu den wichtigsten rituellen Handlungen im Judentum überhaupt.
Bürgermeister Alfred Sonders bedankte sich bei Christian Bremen und Evie Keller-Shvetz sehr für die großzügige Schenkung. „Wir erinnern uns an das unermessliche Leid, die schrecklichen Verluste, das große Unrecht und versuchen Verantwortung zu übernehmen.“ Unsere Begegnung mit den Nachfahren der Vertriebenen aus Hoengen und Warden hat mich tief bewegt“ erinnert sich Sonders an den Besuch im Januar.
(apa 20.06.2025)
© Stadt Alsdorf